Sophie von Stillfried
Malerei & Grafik

Werksbeschreibungen

 

 

WERKSCHAU der Kunsthistorikerin Marlies Lang-Schilling über Sophie von Stillfried

 

Die Wahrnehmung der Welt, die geistige Haltung, das Bewusstsein bestimmen die Ästhetik. Sophie von Stillfried formt diese reale Ästhetik und fixiert sie dem Betrachter auf ihren Bildern.Großformatige Werke mit Ausschnitten des menschlichen Körpers, der, wie mit einer zweiten Haut übermalt scheint.Die Tätowierung ist auf den ersten Blick in ihrer Funktion, wie wir sie kennen: als Körperschmuck, Zeichen einer Gruppenzugehörigkeit oder mit kultischer Symbolik. Sophie von Stillfried wurde 1974 in München geboren, studierte an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst und war Meisterschülerin bei dem erst kürzlich verstorbenen Arno Rink. Ohne es anfänglich zu wissen, findet sie mit ihrer Malweise eine Verbindung zu ihrem Vorfahren Raimund von Stillfried. Dieser Urahne, 1838 in Böhmen geboren, ist bis heute bekannt für seine Porträtfotografien aus Japan, dem Ursprungsland der Tätowierkunst. Seine ethnografischen Fotoaufnahmen von Sumo-Ringern, Geishas und tätowierten Menschen aus der damaligen japanischen Bevölkerung befinden sich weltweit in namhaften Museen. Erst als Sophie von Stillfried in ihrer malerischen Auseinandersetzung die Tätowierung als Stilmittel für sich gefunden hat, wird sie durch Zufall auf die Gemeinsamkeit mit ihrem Vorfahren aufmerksam.Die Bildwelten der Körperkunst faszinieren Sophie von Stillfried. Sie nutzt die Körperübermalungen als malerisches Element wie eine zweite Haut, wie ein Netz, das sich großflächige über Oberkörper, Handrücken oder Finger legt. Sie zeigt uns Nahaufnahmen im Detail: ein hochgeschobener Rock offenbart die Bemalung auf dem Oberschenkel, übereinandergelegte ruhende Handrücken mit Worthinweisen, dort ein sitzender oder stehender Rückenakt, jedoch keine konkreten Gesichtszüge. Es sind Ausschnitte intimer Körperlichkeit, die anonym bleiben. In der Dialektik von Zeigen und Verbergen wird die subjektive Zuordnung verborgen, aber gleichsam Intimität sichtbar gemacht. Das Unsichtbare übt einen grösseren Reiz auf den Betrachter aus, als das zu Sehende.Als Meisterschülerin von Arno Rink hat Sophie von Sillfried diese erzählende Figuration, das zentrale Merkmal der Leipziger Schule, verinnerlicht. Die kühle meist grautönige Farbpalette entführt in der Detailbetrachtung auf eine ganz individuelle Weise in private Momente. Unbekleidete Körpersequenzen mit Übermalungen bieten der Malerin unerschöpfliche Möglichkeiten, die Sicht auf sich selbst, Ideale, Ängste und Träume darzustellen. Der Akt ist in zarten Linien mit Blattranken im gleichbleibenden Muster überzogen. Die samtweiche Haut hebt sich vom dunklen Hintergrund ab und bildet den Grund für dieses changierende Netzwerk. Die kühle Farbgebung irritiert, scheint doch die zarte Unberührtheit und Sensibilität des Körpers spürbar. Diese sinnliche Ausstrahlung überzieht das gesamte Werk mit raffinierter Lichtregie. Die Malerei erregt durch ihre entrückte Farbharmonie. Eine Aktdarstellung inszeniert in der Natur weit ab von einem persönlichen Umfeld. Sophie von Stillfried greift dieses kunsthistorische Stilmittel bewusst auf und stellt es in den Dialog des alltäglich Erlebbaren. Formstreng und nüchtern erzählt sie die Geschichten von leidenschaftlichen Körpern, von Verwundbarkeiten und Distanzierungen. Dabei positioniert Stillfried sich unverhofft eigenwillig in der Avantgarde, die den Einfluss des Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit erkennen lässt - auch das ein Merkmal der sognannten Leipziger Schule. 

 Ähnlich wie Meret Oppenheims Porträt mit Tätowierung von 1980 vermittlen uns hier die übermalten Körper ein Aufzeigen von bisher Unsichtbarem und den Methamorphosen zwischen den Geschlechtern ohne dies auf ein bestimmtes zu reduzieren. Die Aufsichten spiegeln die kühle Zartheit der Körperübermalung und den Grad der Empfindlichkeit und Sensibilität. Die Übermalung ersetzt die Kleidung. Das Tattoo ist Schutz und äussere Hülle, gleichzeitig aber auch ein Erzählmuster der inneren Befindlichkeit. Die Lichtführung betont den Grad der Verletzlichkeit.
Sophie von Stillfried gelingt es diese atmosphärische Stimmungen mit der Tiefe der Details herauszuarbeiten und in der Unmittelbarkeit der Darstellung zu steigern. Der vordergründig voyeuristische Blick wird bei genauerem Hinschauen ins Gegenteil gewandelt. Sie hat sich ihre eigenen dialektischen Metapher und Allegorien geschaffen: Schönheit, Eros, Zartheit stehen im Wechselspiel mit Verletzlichkeit, Leid, Gewalt und Schutzbedürfnis. Die kühle distanzierte Malweise wird in lyrischer Art verdichtet.Innehalten und Hinsehen ist die Aufforderung, die in all diesen Bildern inszeniert wird. Der Betrachter teilt mit dem Modell genau jene Eigenschaft, nämlich selbst das Objekt eines Blickes zu sein. 
Sophie von Stillfrieds Arbeiten sind von diesem malerischen Blick gekennzeichnet. Stimmungen, Atmosphären spüren die schwebende Präsenz von Zeit und Körperlichkeit auf. Stillfrieds Verständnis der menschlichen Darstellung ist gewissermassen das Innen von Aussen betrachten.

Die Fülle an kunstgeschichtlichen Traditionen stellt jede Malerin vor die Herausforderung, die großen Vorgänger nicht einfach zu imitieren, sondern eine eigene Bildsprache, eigene Themen und Stilelemente zu finden. Das Werk von Sophie von Stillfried verweist auf die Historie und verbindet sie mit eigenen malerischen Sichtweisen und Inhalten.In den Grenzgängen zwischen Innen- und Aussenwelten verschwindet die Distanz und das Bild erzählt etwas über sich, es wird zur Meditation des Bewusstseins und bewirkt eine Veränderung. Wer sich dem Bild nähert, geht verändert von ihm.  Marlies Lang-Schilling


Un-Eindeutigkeiten.

Eine Notiz zu den Bildern Sophie von Stillfrieds.                                Von Dr. Ralf  F. Hartmann

 

Im Jahr 2003 malt die junge Künstlerin Sophie von Stillfried ein ungewöhnliches Bild, das den Beginn einer Reihe von großformatigen Figurenszenen markiert: es zeigt die entblößte Rückenansicht einer Person, die offenbar auf einem Hocker oder Stuhl sitzt und ihren Kopf seitlich den Betrachtern zuwendet. Ihr Gesicht zeichnet sich allein als Kontur gegen den hellblauen Hintergrund ab, die zurückgekämmten und schulterlangen dunklen Haare werden mit schnellen Strichen in hellen Farben malerisch akzentuiert. Der dagegen auffallend fein ausgearbeitete und unbekleidete Oberkörper verdeckt die verschränkten Arme. Gesäß und Beine wiederum stecken in einer dunkelblauen Jeans, aus der lediglich der Saum einer roten Unterhose hervor scheint. „Rückenselbst“ gibt nahezu nichts von der dargestellten Persönlichkeit preis, sondern arbeitet lediglich mit zwar minimalen aber eindeutigen Hinweisen, die sie der unmittelbaren Gegenwart und einer auf modische Details achtenden urbanen Jugendkultur zuordnen. Integrale Bestandteile dieser geradezu hermetischen Selbstinszenierung sind jene beiden floralen Tätowierungen, die sich gewissermaßen wie die Hände eines unsichtbaren Gegenübers auf die Schulter der Figur legen und augenfälliges Indiz für einen aktiven Zugriff von außen zu sein scheinen.    Weit mehr noch als die Frage nach einer spezifischen Identität der dargestellten Person,  von denen nicht wenige geschlechtlich uneindeutig bleiben, muss in den Bildern Sophie von Stillfrieds jene nach diesem unsichtbaren Gegenüber interessieren, das überall anwesend ist. Ebenso wie es scheinbar alle Blickperspektiven auf die dargestellten und die signifikanten  Details bedingt umschreibt es zugleich ein sowohl subtiles wie gewaltsames Wechselverhältnis zwischen dem Subjekt und seinen sozialen Konditionen. Denn das Gros der Bildausschnitte, mit denen die Malerin geradezu durchgehend arbeitet, repräsentiert die omnipräsenten Repräsentationen des körperlichen in den Medien unserer modernen Kommunikationsgesellschaft dies geschieht nicht selten zunächst im Rückgriff auf bekannt erscheinende Kameraperspektiven des Kinos oder auf die Inkunabeln der frühen experimentellen Fotografie - bei „Rückenselbst“ ist es zum Beispiel der Bezug auf die Arbeit „Violon D'ingres“ von Manray aus dem Jahr 1924. Zu einer zunächst schnellen Lesbarkeit führen aber genauso jene vielfachen Analogien und Verweise auf die zeitgenössische Bildpraxis von Werbe und Modefotografie.     So distanziert diese fragmentierten Bildfindungen von modisch gekleideten jungen Menschen und ihre visuellen Begrenztheiten durch die Vermeidung des Potraits auf den ersten Blick erscheinen mögen, so distanzlos ist letztlich das Verhältnis zwischen Subjekt und Umwelt, die grenzenlose Beziehung zwischen der körperlichen Integrität der Figur und dem auf sie eindringenden gesellschaftlichen,  beinahe technischem Zugriff thematisiert. Sophie von Stillfried setzt mit ihren Bildern an jenem neuralgischen Punkt an, in dem der klassische Torso gerade im Hinblick auf die modernen Medien das ganze geradezu mitzudenken zwingt. Aus subtilen Voyeurismen, erotischer Schwüle und sexuell konnotierten Reizen beginnt sich i9n der begrenzten Wahrnehmung der Betrachtenden eine Geschichte zu entwickeln, die auf Vervollständigung und Identifikation der Person angelegt ist. Laszive Pinup-Posen und die Fokussierung auf eine unter Kleidungsstücken hervor scheinende Haut spielen nur scheinbar mit der Idee des visuell allseits Verfügbaren in der zeitgenössischen Bilderwelt, sondern bedienen sich eher v on Kaja Silverman analysierten Strategien der Obszönität, die sich einer letzten und volkommenen Visualisierung vielmehr entzieht.         Diesem Spiel mit Sichtbarkeiten und Unsichtbarkeiten ist in klassischen Bildern nahezu immer  der obsessive Hang zur Vervollkommnung implizit. Denn seine Strategien verlangen geradezu nach dem geschickten Kalkül im Umgang mit begrenzten Eindeutigkeiten. Beziehungsweise nach einer feinnervigen Regie von Sichtbarkeit. Doch Sophie von Stillfried gelingt wes mit ihren Arbeiten, diesen Fokus auf das schlüpfrige Indiz der beklemmenden Enge des Voyeurismus zu entreißen und ihn stattdessen in aller Öffentlichkeit subversiv zu unterwandern. Sie hält das Wechselspiel zwischen Eindeutig und Uneindeutig nicht begrenzt, sondern treibt es durch eine Multiplizierung von weiteren Bildhinweisen förmlich auf die Spitze: Das Begehrende Gegenüber, dessen visueller Fingerabdruck sich in „Rückenselbst“ gewissermaßen noch sichtbar in den Körper einschreibt, wird nicht zuletzt in der Camouflage der Geschlechter und Sexualitäten überwältigt und mit seinem Bedürfnis nach letzter Entzauberung in die Orientierungslosigkeit entlassen. In der Umkehrung dieser Einschreibungen von einem sozialen Prozess zu einer selbstbestimmten Handlung und individuellen Setzung verschmelzen die schmückenden Tattoos auf den Körpern mit den ornamentalen Insignien der Mode zu einer Behauptung für den „suspekt gewordenen inneren Schauplatz der geschlechtlich bestimmten Identität“. Sie untergraben die Autorität der unbegrenzten Öffentlichkeit und ihres Normenkanons dahingehende, dass sie mit der Lesbarkeit von Moden Bildern und Zeichen ein taktisches Vexierspiel, beginnen, dass sie „kulturell gepflegte Trennungslinie zwischen Ich und Anderen, männlich und weiblich, innen und außen(...) entlang der über Tabus errichteten Körperumrisse“  gegen sich selbst aushebelt. So gerinnen die Bilder Sophie von Stillfrieds zu Metaphern des Scheiterns einer auf Körpergrenzen und Geschlechtsidentitäten fixierten Definitionslust des menschlichen und durchbrechen zugleich in ihrer konzisen Malerei die voreiligen Verheißungen einer alles nivellierenden öffentlichen Sichtbarkeit. Im großen Format räumen sie den unantastbaren Körper seinen Platz ein und konstatieren die letzte Behauptung von subjektiver Intimität in einer medialisierten Welt.